Der globalisierte Barsch
Ein lukrativ schief gegangenes Experiment zeigt Hubert Saupers brisanter Dokumentarfilm «Darwin’s Nightmare»
Am Ursprung stand ein Experiment, am Ende ein Erfolg für die Globalisierung. In den 60er-Jahren wurde der Nilbarsch im afrikanischen Viktoriasee ausgesetzt. Der Raubfisch, anpassungsfähiger als seine Artgenossen, behauptete sich in seiner neuen Umgebung nicht nur, er zerstörte das natürliche Gleichgewicht des Sees, da er sich von anderen Spezien ernährte. Unternommen wurde dagegen nichts – aus wirtschaftlichen Gründen: Der Fisch entwickelte sich zum lukrativen Exportschlager.
Hubert Saupers Dokumentarfilm Darwin’s Nightmare führt zum Ursprungsort jener Delikatesse, die mittlerweile bereits Viktoriabarsch genannt wird. In Mwanza, einer Stadt in Tansania, ist alles auf das Geschäft mit dem Fisch ausgerichtet: Regelmäßig starten von hier Flugzeuge, um die begehrten Filets tonnenweise in europäische Industrieländer zu fliegen. Sauper sucht in nüchternem Tonfall nach den Folgen der einseitig ausgerichteten Ökonomie. Nicht der Erfolgsgeschichte, die nur die allerwenigsten der Einheimischen betrifft, gilt sein Interesse, sondern jenen, die nach Mwanza kommen, um hier ein wenig mitzuprofitieren: Prostituierte, die ihre Dienste an die ausländischen Piloten verkaufen; Straßenkinder, die sich von den madenzerfressenen Überresten des Barsches ernähren.
Darwin’s Nightmare breitet sukzessive das Getto aus, das rund um die einträgliche Fischproduktion immer größer wird, und er erzählt vom Mangel an zivilen Strukturen: Ein mit Pfeil und Bogen bewaffneter Nachtwächter wäre jederzeit bereit, zu töten – den Krieg seien die Menschen hier ohnehin gewöhnt. Sauper setzt derart die unterschiedlichsten Ebenen – von ökonomischen Ausbeutungsverhältnissen bis zur sozialen Verwahrlosung – stimmig zueinander in Beziehung.
Die Frage, die den Film in Bewegung hält, lautet jedoch, ob die Flugzeuge aus dem Norden bereits mit Ladung in Tansania landen. Die russischen Piloten und andere in den Handel Involvierte weichen der Antwort immer wieder aus, bis es einer von ihnen tatsächlich ausspricht (und den schrecklichen Verdacht bestätigt): Der Viktoriabarsch wird mit Waffen abgegolten.
Dominik Kamalzadeh in: «Der Standard» vom 19. Oktober 2004
ein Film von Hubert Sauper
Frankreich /Österreich/ Belgien 2004, Farbe, 107 min, 35mm, Dolby SRD
Buch und Regie:
Hubert Sauper
Künstl. Zusammenarbeit:
Sandor Rieder, Nick Flynn
Kamera:
Hubert Sauper
Ton:
Cosmas Antoniadis
Schnitt:
Denise Vindevogel
Sound Design:
Veronika Hlawatsch
Als Gast: Oswald Iten, Ethnologe und Auslandkorrespondent der NZZ
Nachschlag: Darwins Albtraum
Journalist in Tansania verhaftet
Die Regierung von Tansania geht gegen die Mitwirkenden an der Dokumentation «Darwin’s Nightmare» von Hubert Sauper vor. Das berichtete der österreichische Filmemacher der Nachrichtenagentur APA. Der Journalist Richard Mgamba sei verhaftet worden, ein weiterer Mitwirkender unter Hausarrest gestellt worden. «Per Parlamentsbeschluß wurde erklärt, daß alle Mitwirkenden als Staatsfeinde bestraft werden», sagte der in Paris lebende Regisseur der Dokumentation, die weltweit für Aufsehen gesorgt hat und auch im Deutschen Fernsehen lief. Mgamba sei mittlerweile gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt worden, ihm drohe unter anderem die Abschiebung nach Kenia. Der Journalist, der über Waffenhandel geschrieben habe, und der unter Hausarrest gestellte Nachtwächter Raphael Tukiko hätten ihn telefonisch um Hilfe gebeten. Tukiko und anderen Mitwirkenden drohe die Verhaftung, sagte Sauper. In Daressalaam sei das Büro eines Filmproduzenten, der ihm bei den Drehgenehmigungen geholfen habe, durchsucht worden. «Die Regierung behauptet, daß der Film das Image des Landes schädigt und der Fischhandel dadurch eingebrochen ist, was nicht stimmt», erklärte der Filmemacher Sauper. Nachdem auch die Medien negativ darüber berichtet hätten, habe die Polizei die Bevölkerung der stark vom Fischfang abhängigen Stadt Mwanza zu einer Demonstration gegen Mgamba aufgewiegelt, «in der die Leute sein Blut gefordert haben. Die Regierung soll wissen, daß diese skandalösen Praktiken sehr wohl international beobachtet werden.» Der Film «Darwin’s Nightmare« handelt von der Zerstörung der Lebensgrundlagen der Anwohner des Viktoriasees durch die Ansiedlung des international vermarkteten Viktoria-Barschs, der die bis dato heimischen Fischarten beinahe vollständig verdrängt hat.
«F.A.Z.» vom 21. August 2006