„In jedem Witz steckt auch eine halbe Wahrheit.“ Witzig ist es selten im vom Balkankrieg zerstörten, bosnischen Dorf Slavno. Nur wenn die überlebenden Frauen ihre verstorbenen Ehemänner und andere tote Familienmitglieder pantomimisch darstellen, um ihre Kinder aufzuheitern, wird, so makaber dies auch klingen mag, gelacht. Die verbliebenen Dorfbewohner in Aida Begics Snijeg (Schnee) müssen sich zwei Herausforderungen stellen: Zum einen dem täglichen Kampf ums Überleben, zum anderen der verzweifelten Suche nach vermissten und tot geglaubten Angehörigen. Unter der frustrierten Dorfbevölkerung keimt jedoch neue Hoffnung auf, als ein zufällig vorbeikommender Lastwagenfahrer verspricht, sämtliche Erzeugnisse aufzukaufen, und ihnen somit zu bescheidenem Wohlstand zu verhelfen. Zeitgleich versucht jedoch ein großer Baukonzern sich die gesamten Ländereien anzueignen und alle Bewohner aus ihrer Heimat zu vertreiben. Nur Alma (Zana Marjanovic), eine der Anwohnerinnen, deren Ehemann im Krieg fiel, glaubt noch an den finanziellen Aufstieg ihres Dorfes durch den Handel mit eingelegtem Obst.
Begics stark autobiografisch geprägter Film vermittelt ein sehr authentisches Bild der Nachkriegssituation in Bosnien, wirkt allerdings nicht dokumentarisch, da er auch einige fantastische Elemente, wie die binnen weniger Stunden lang wachsenden Haare eines Waisenjungen im Dorf, beinhaltet. Auch die ungewöhnlich lange Produktionszeit von fünf Jahren trug zu Snijegs außergewöhnlich hoher Qualität bei. Die Schauspieler hatten Zeit sich mit ihrer Rolle auseinanderzusetzen und entwickelten, laut der Regisseurin, aus einer skizzenhaften Drehbuchvorgabe selbst Charaktere mit tiefer Prägung. So ist etwa der Gesang eines der überlebenden Mädchen kein traditionelles bosnisches Kinderlied, sondern eine während der Dreharbeiten entstandene Eigenkomposition der jungen Darstellerin.
Als die Frauen am Ende des Films die bislang verschollenen Körper ihrer toten Angehörigen finden und diese begraben können, fällt der erste Schnee, der sich über die Schmerzen der Vergangenheit legt und ihnen ermöglicht, darin Spuren einer neuen friedvolleren Zeit zu hinterlassen.
Text: Moritz Bürger, Sebastian Gratz, Marius Lang & Dominique Epple
Die (ganz) Junge Kritik, Filmfestspiele Cannes 2008
ein Film von Aida Begic
Bosnien und Herzegowina 2008, OV Bos (UT: d/f), colour, 35mm, 1:1.85, dolby, 100 min
Grand Prix Semaine de la Critique Cannes 2008
Regie:
Aida Begic
Drehbuch:
Aida Begic, Elma Tataragic
Kamera:
Erol Zubcevic
Montage:
Miralem S. Zubcevic
Musik:
Igor Camo
DarstellerInnen:
Zana Marjanovic, Jasna Beri, Sadzida Setic, Vesna Masic, Emir Hadzihafizbegovic, Irena Mulamuhic, Jelena Kordic, Jasmin Geljo, Dejan Spasic, Alma Terzic, Muhamed Hadzovic, Benjamin Djip, Nejla Keskic, Mirna Zdralovic, Emina Mahmutagic
Als Vorfilm zeigen wir den zum Thema passenden Kurzfilm:
ICH TRÄUME NICHT AUF DEUTSCH
Diplomfilm an der ZHdK 2008von Ivana Lalovic
Ivana Lalovic ist anwesend